
Interview: UHF-RFID im Smartphone

Thomas Brunner, Geschäftsführer von Kathrein Solutions, sprach im Interview mit Anja Van Bocxlaer von Think WIoT über das Potential der RAIN RFID Technologie durch die von Qualcomm angekündigte RFID Integration in die nächste Snapdragon® Mobile Platform.
Hintergrund
Heute gibt es zwei große Bereiche, in denen RAIN* (UHF) RFID breite Anwendung findet. Dies sind zum einen rein industrielle Anwendungen, um die Effizienz von Produktionsprozessen zu optimieren und zu steuern, Assets mit einer ID, sozusagen einem digitalen Typenschild, auszustatten oder auch eine Fahrzeugflotte zu digitalisieren, um Mautsysteme oder Parkplatzlösungen zu automatisieren.
Darüber hinaus hat sich RAIN RFID als Identifikationslösung für Konsumgüter etabliert, allen voran natürlich der Bekleidungssektor und Luxusgüter. Hier werden in erster Linie globale Logistikprozesse, aber auch Optimierungen wie Inventuren und Self Service Bezahlprozesse mittels RAIN RFID automatisiert und effizienter gestaltet.
Der dritte und noch am wenigsten entwickelte Bereich ist die Nutzung der RFID-Technologie zur Interaktion mit dem Endkunden, wobei hier das Smartphone eine zentrale Rolle spielt.
* RAIN – ein Akronym von RAdio frequency IdentificatioN – soll auf die Verbindung zwischen UHF-RFID und der Cloud hinweisen, in der RFID-basierte Daten über das Internet gespeichert, verwaltet und gemeinsam genutzt werden können. (RAIN Alliance)
1. Herr Brunner, was sind die neuesten Entwicklungen im Bereich UHF-RFID, und wie bewerten Sie die Integration dieser Technologie in Smartphones?
Thomas Brunner: Der Schwerpunkt von UHF-RFID liegt traditionell im Handel, insbesondere bei der Produktkennzeichnung. Aus diesem Segment kommen auch die größten Stückzahlen. Die visionäre Idee war jedoch schon immer, UHF-RFID in Smartphones zu integrieren, so dass Endkunden direkt mit den getaggten Produkten interagieren können. Diese Lücke wird nun durch die Ankündigung von Qualcomm geschlossen.
Derzeit werden RFID-Tags vor allem in der Logistik eingesetzt. Decathlon setzt sie für Selbstbedienungskassen ein, andere Bekleidungshersteller nutzen sie für die Intralogistik, die Filiallogistik und die Inventur. Doch der nächste Schritt ist die „letzte Meile“ – die direkte Interaktion mit dem Endkunden.
Das schien lange Zeit technisch anspruchsvoll, aber jetzt sind wir an einem Punkt, an dem Fortschritte bei der Energieeffizienz, der Sendeleistung und der Chiptechnologie diese Integration möglich machen. Das ist vor allem für Consumer-Smartphones gedacht. Hier sollen Reichweiten von bis zu 120 Zentimetern zuverlässig erreicht werden.
Langfristiges Ziel ist es, die Interaktion mit dem Endnutzer über die Luftschnittstelle zu ermöglichen. Dies ist nicht nur eine gute Nachricht für die Industrie, sondern auch ein Katalysator, um die Anzahl der getaggten Produkte massiv zu erhöhen. Damit wird der Einsatz von RAIN-RFID-Lösungen in der Intralogistik und generell in der Logistik im gesamten Transportsegment immer sinnvoller – ein Aspekt, der bereits heute intensiv diskutiert wird.
Treiber für den Einsatz von UHF-RFID ist die Optimierung der Effizienz in Logistik und Transport. Durch die Integration in Smartphones kommt der Vorteil hinzu, dass das Konsumverhalten der Kunden besser analysiert werden kann und gezielt auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Produkte entwickelt, angeboten und positioniert werden können.
„Das Potenzial, mit UHF-RFID direkt am Endkunden anzusetzen, ist der nächste Meilenstein, und wir stehen erst am Anfang dieser spannenden Entwicklung.” – Thomas Brunner
2. Wie sehen Sie die aktuellen Herausforderungen im Bereich UHF-RFID, insbesondere in Bezug auf die Lesefunktionalität und Standards?
Thomas Brunner: Das Air Interface Protokoll von RAIN RFID ist in einem sogenannten ISO Standard (ISO 18000-6C) weltweit standardisiert, eine Interoperabilität ist somit problemlos möglich, dies ist auch einer der größten Vorteile, die RAIN RFID bietet.
Gerade im Hinblick auf weitere sinnvolle Sicherheitsfunktionen wird permanent am Standard gearbeitet, Erweiterungen wie Gen2V3 sind für viele sicherheitsrelevante Lösungen von großer Bedeutung. Gerade im Hinblick auf globale Standards ist es aus meiner Sicht für die weltweite RFID-Community von großer Bedeutung, dass es hier nicht zu einer Diversifizierung bzw. proprietären Lösungen von Chiphersteller-spezifischen Erweiterungen des Standards kommt, die leider in letzter Zeit vermehrt zu beobachten sind.
Ein zentrales Thema ist die selektive Lesefunktion, also die Möglichkeit zu verhindern, dass mehrere Geräte gleichzeitig denselben Tag auslesen. Hier gibt es derzeit noch Herausforderungen, da sich mehrere Smartphones oder Reader gleichzeitig in der Nähe eines Tags befinden können. Hier muss noch an den Standards gearbeitet werden, um eine zuverlässige Lösung anbieten zu können. Ein wesentlicher Fortschritt wird darin bestehen, die Interaktion mit dem Endnutzer über die Luftschnittstelle zu ermöglichen.
In der Praxis werden Ladungsträger mit Produkten erfasst, die noch nicht individuell getaggt sind. In Zukunft wird es jedoch immer häufiger vorkommen, dass Produkte selbstständig mit Tags versehen werden, was die Technologie entscheidend vorantreiben wird. Große Player wie UPS, DHL und Fedex sehen RAIN RFID als Schlüsseltechnologie der nächsten zehn Jahre, insbesondere für Erfassungs- und Sortiersysteme.
Durch die Möglichkeit, Transponder (technischer Kern eines Tags) auch mit einer so genannten Authentifizierungsfunktion einzusetzen, können personenbezogene oder anderweitig sicherheitsrelevante Daten vor dem Zugriff Unbefugter geschützt werden. Solche Sicherheitsfunktionen sind bereits im Standard vorgesehen und millionenfach im Einsatz.
3. Wie sehen Sie die Zukunft von UHF-RFID im Vergleich zu anderen Technologien wie Barcodes, QR-Codes und NFC?
Thomas Brunner: Derzeit konkurriert UHF-RFID noch mit Technologien wie Barcodes und QR-Codes. Diese sind einfach herzustellen, kostengünstig und ermöglichen eine schnelle Authentifizierung und Serialisierung.
Die Vorteile von UHF-RFID werden jedoch immer deutlicher, da Produkte zunehmend mit RFID-Tags ausgestattet werden – ein wichtiger Treiber für unsere Branche. Wir sind daher sehr optimistisch, dass diese Entwicklung schnell und konkret voranschreiten wird.
Im Bereich der industriellen mobilen Endgeräte sehen wir ebenfalls eine Entwicklung hin zu UHF-RFID, da viele dieser Geräte mittlerweile auf Android als Standard setzen. Die in diesen Geräten verwendeten Qualcomm-Chipsätze unterstützen die Integration von UHF-RFID und bieten ein großes Potenzial für die Zukunft.
„NFC sehe ich eher als Ergänzung zu UHF-RFID. In Zukunft werden wir jedoch immer mehr Dual-Frequenz-Chips sehen, die sowohl NFC als auch UHF-RFID unterstützen. Viele der Produkte, die wir für Mautsysteme und Fahrzeugregistrierungen entwickeln, sind heute standardmäßig Dual-Frequency-Transponder.“ – Thomas Brunner
Thomas Brunner: Auch wenn Qualcomm in naher Zukunft UHF-RFID-Chipsätze für Smartphones auf den Markt bringen wird, gehen wir davon aus, dass es noch einige Jahre dauern wird, bis diese Funktion weit verbreitet ist. Wir gehen davon aus, dass es etwa fünf Jahre dauern wird, bis wir eine Marktdurchdringung von 20 bis 30 % erreicht haben, sodass diese Funktion auf breiter Basis genutzt werden kann.
In der Zwischenzeit werden UHF-RFID und NFC parallel existieren. NFC ist heute bereits weit verbreitet und kann als Standard in fast jedem Smartphone angesehen werden, da die weltweite Verbreitung bei über 50-60% liegt.
4. Welche Entwicklungen erwarten Sie für UHF-RFID in der Industrie, insbesondere bei Handheld-Geräten und deren Integration?
Thomas Brunner: UHF-RFID verfolgt seit seiner Einführung die Vision des Item-Level-Tagging, das vor allem in der Logistik und der industriellen Fertigung Anwendung findet. Ursprünglich lag der Fokus nicht auf der Kennzeichnung einzelner Produkte, sondern auf der Kennzeichnung von Ladungsträgern oder anderen größeren Einheiten. Die Entwicklung passiver UHF-Transponder hat jedoch den Weg für eine breitere Anwendung geebnet.
In Zukunft wird es immer häufiger vorkommen, dass Produkte direkt mit Tags versehen werden. Diese Entwicklung macht UHF-RFID zu einer sehr relevanten Technologie.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Entwicklung von Handheld-Geräten. In Zukunft wird es kleinere, einfachere industrielle Handhelds geben, die neben der bisherigen UHF-RFID-Funktionalität auch HF-RFID unterstützen. Möglich wird dies durch integrierte Chipsätze, die diese Technologien kombinieren. Die Sendeleistung kann dabei geringer ausfallen, da Consumer-Anwendungen nicht die gleiche Reichweite benötigen wie industrielle Geräte.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass robuste Geräte mit großer Antenne und hoher Reichweite obsolet werden. Im Gegenteil, diese Geräte werden in spezialisierten Bereichen weiterhin benötigt und könnten von dieser Entwicklung ebenfalls profitieren. Es wird auch eine Zunahme von Geräten geben, die wie Pistolengriffe aussehen, UHF-Funktionalität bieten und über Bluetooth mit mobilen Endgeräten gekoppelt werden können.
Visionär war schon immer die Idee, UHF-RFID in Smartphones zu integrieren, so dass der Endkunde direkt mit den getaggten Produkten interagieren kann. Eine KI führt durch das aktuelle Angebot im Laden –
verrückt oder schon bald realisiert?
5. Welche Faktoren sind aus Ihrer Sicht für Endkunden bei der Nutzung von UHF-RFID-Technologien entscheidend?
Thomas Brunner: Derzeit gibt es noch relativ wenige Anwendungen, bei denen der Endkunde direkt mit der Technologie in Berührung kommt. Einige große Handelsunternehmen wie z.B. Decathlon automatisieren den sog. Self-Check-out mit RFID, auch EAS-Systeme setzen bereits verstärkt auf die RFID-Technologie. Auch hier kann der Endkunde direkt mit RFID in Berührung kommen.
NFC ist hier schon einen großen Schritt weiter, es begegnet uns täglich beim Bezahlen mit dem Smartphone oder ganz aktuell bei der elektronischen Patientenakte.
Der Durchbruch in der Verbreitung kam mit der Integration von NFC in das Mobiltelefon. Eine ähnliche Entwicklung ist aus meiner Sicht auch bei RAIN RFID zu erwarten. Die heute schon massiven jährlichen Stückzahlen von RAIN RFID Chips (über 4 Billionen Stück im Jahr 2023) dürften durch die nun zu erwartende Möglichkeit der Interaktion mit dem Konsumenten weiter massiv ansteigen, ein Ende ist hier bei weitem nicht zu erwarten.
Bei der Interaktion mit dem Konsumenten geht es in erster Linie darum, zu erkennen, für welche Produkte sich der Endkunde interessiert. Heute erhalten wir diese Information nur, wenn der Kunde ein Produkt aktiv mit NFC oder einem QR-Code scannt. Das wird in Zukunft einfacher sein.
„Aufgrund der begrenzten Baugröße und Akkukapazität von Smartphones ist es nicht möglich, vergleichbare Reichweiten wie bei industriellen Lesegeräten zu erreichen, dies ist aber aus meiner Sicht für den Fokus auf Endkundenanwendungen auch nicht notwendig, hierfür ist eine RFID-Erfassungsreichweite von 1 – 2 Metern ausreichend.“ – Thomas Brunner
Zum Newsletter anmelden
Unser Newsletter hält Sie über neue Produkte, spannende Anwendungsfälle, Case Studies und bevorstehende Events in der IoT-Welt von Kathrein Solutions auf dem Laufenden.